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AutorenbildChristian Knoche

Pastiche

Aktualisiert: 18. Juni

B. überschritt die Brücke, welche das eine Flussufer mit dem anderen verband. Einer ihm unbekannten Kraft folgend, beinahe einem Sog, bog er nach links ab und lief langsamen Schrittes unter den Baumreihen hindurch. Über sich nahm er kaum die kahlen, verkrüppelten Äste wahr, auf denen seltsame schwarze Vögel saßen, die sich angeregt unterhielten. Im grauen Schleier des Dunstes, der vom Fluss her waberte, sah er neue Bäume vor sich auftauchen. Die Äste schienen näher am Boden aus den Stämmen zu wachsen und sich immer höher in das Grau aufzustrecken.

Er ging langsam, bedächtig, und hatte dennoch das Gefühl, mit jedem Schritt viele Meter auf einmal zurückzulegen. Der Fluss war verschwunden. Wohin er sich auch drehte, zeigte sich dasselbe Bild aus kahlen Ästen und undurchdringlichem Grau. Er wurde panisch, fühlte sein Herz stolpern und hämmern, griff sich immer wieder mit den Händen an den Hinterkopf und drehte sich um sich selbst. Er hätte nicht sagen können, ob er sich in dieser Welt drehte oder die Welt sich um ihn. Ihm wurde schwindelig und er hielt inne. Da erschien unter einem der Bäume aus der grauen Eintönigkeit ein schwarzes Geschöpf. Es hing vornübergebeugt auf vier langen Stelzen und war von einem schwarzen Umhang bedeckt. Er konnte nicht feststellen, wo Kopf und wo Rumpf dieser Kreatur waren. Mit zwei der Stelzen schien sie im Boden nach etwas zu suchen. Das Wesen machte eine ruckartige Bewegung mit einem der unförmigen Teile unter dem schwarzen Tuch, hielt kurz inne, dann entfernte es sich in gemäßigter Eile. Die dünnen Stelzen verschwammen zuerst mit dem Grau, noch eine Weile schwebte der schwarze Körper über dem Nebel, dann war auch er verschwunden. B. ging weiter, wurde schneller, aber je schneller er ging, desto langsamer bewegten sich die Bäume um ihn. Er wurde langsamer und kam wieder schneller voran. Eine neue Gestalt tauchte vor ihm auf, auch sie war in eine schwarze Kutte gehüllt und wandte ihm die Seite zu. Die Silhouette erinnerte ihn an Mensch und Vogel gleichermaßen. Ein Arm hing herunter bis fast auf den Boden. Auf Höhe des Kopfes ragte ein weißes Gesicht mit einer Art Schnabel heraus, der nach oben gestreckt war. Die Gestalt redete in ihrer eigenen Sprache mit den schwarzen Vögeln in den Bäumen. B. ging so langsam, wie er vermochte, und war in wenigen Schritten dort.

„Wo will ich hin?“, fragte er zaghaft.

Er wurde ignoriert, und so versuchte er, sich in das Blickfeld zu drängen. Mit seiner Bewegung drehte sich auch die Gestalt, wandte ihm fortwährend nur das Profil mit dem langen Schnabel zu und redete weiter in der seltsamen Sprache der schwarzen Vögel gen Himmel. Er rannte fast um die Gestalt herum und kam nicht vorwärts, er ging langsam und raste wie von Sinnen im Kreis, aber er bekam immer nur dieselbe Seite zu sehen. Schließlich blieb er stehen und atmete schwer. Dann besann er sich und sprach wieder, diesmal in der Sprache der Vögel, die er auf wundersame Weise verstand. Er wiederholte seine Frage. Die Antwort schallte vielstimmig aus dem Bäumen um ihn herum, drang nicht über seine Ohren zu ihm sondern hallte direkt in seinem Kopf wieder.

„Wie sollen wir Dir sagen, wo Du hin willst, wenn Du es doch selbst nicht weißt?“

„Wie komme ich hier wieder heraus?“, fragte er.

„Wie sollen wir Dir sagen, wie Du hier herauskommst, wo Du doch selbst nicht weißt, wo Du bist?“

„Wisst ihr denn, wo ich hier bin?“, fragte B.

„Ja.“, antworteten die Stimmen.

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